Pipilotti Rist

Die Videokünstlerin Pipilotti Rist (*1962) ist sowohl für ihre raumgreifenden Videoinstallationen, Ein- und Mehrkanalvideos, Objektassemblagen als auch für Performances, Filmpräsentationen und Musikaufführungen bekannt. Ausgangslage ihrer Videoskulpturen bilden der Fernseher und dessen Medienästhetik, um die ein räumliches, meist wohnliches Ambiente entsteht. Die Inhalte der Videos wecken narrative Assoziationen und kreisen um Körperlichkeit, Verwandlung, Sinnlichkeit – um die Haptik des Gefühls. Bildverfremdungen und spektakuläre, meist schwebende Kamerafahrten lassen eine traumhaft-skurrile Welt entstehen, die von Musik untermauert wird. Pipilotti Rist bricht mit Normen, wechselt Dimensionen und Perspektiven und führt uns einen bunten und fröhlichen Kosmos vor Augen, dem trotz aller Leichtigkeit und Schwerelosigkeit viel Hintergründiges anhaftet.

 www.pipilottirist.net

«Berg Elle», 2017

Videoinstallation
Ort: Winter-WC/ Capanna da l’Albigna

Pipilotti Rist, «Berg Elle», 2017, Videoinstallation, Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth, Bild © Ralph Feiner

Pipilotti Rist, «Berg Elle», 2017, Videoinstallation, Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth, Bild © Ralph Feiner

Im eingangsseitigen Annexbau der Capanna da l’Albigna befindet sich – von aussen zugänglich – das sogenannte Winter-WC. Wenn die Hütte während der kalten Jahreszeit unbewartet ist, bleibt der WC-Raum geöffnet und steht Tourengeherinnen und Tourengehern zur Verfügung. Für «Arte Albigna» wird die sanitäre Anlage zweckentfremdet und zum Schauplatz einer Videoinstallation von Pipilotti Rist. Die Künstlerin lässt einen an einer Aufhängung befestigten Stein des Albigna-Gebirges von der Decke hängen. Beim Betreten des geöffneten Raumes treffen bei guten Witterungsverhältnissen Sonnenstrahlen auf die nach aussen gerichtete Fläche des Steins. Leise Musik unterstreicht die poetische Situation. Auf einer Seite ist der Stein nicht Reflexionsfläche des Wetters, sondern Projektionsfläche für ein Video, das die Kontinentalverschiebung und somit die Entstehung der Alpen thematisiert. Einst waren alle heutigen Kontinente miteinander verbunden und bildeten eine zusammenhängende Landmasse. Vor rund 250 Millionen Jahren zerbrach dieser Superkontinent in mehrere Platten. Die afrikanische und die europäische Platte begannen auf dem zähflüssigen oberen Erdmantel aufeinanderzudriften. Dieser geologische Prozess ist, obwohl nicht direkt wahrnehmbar, nicht zu Ende. Afrika und Europa nähern sich noch immer an. Zumindest geologisch.

In ihrer Videoprojektion verbindet Rist die Monstrosität geologischer Kräfte mit dem Augenblick. Sie versinnbildlicht mit ihrer auf den baumelnden Stein projizierten Videoarbeit die Auflösung der Schwerkraft und will, indem sie der Gravitation visuell entgegentritt, dem vom Aufstieg ermüdeten Betrachtenden eine Leichtigkeit vermitteln. Gleichsam mag das Video mit dem feministisch konnotierten Titel «Berg Elle» eine Metapher für die Gleichstellung der Völker und der Geschlechter sein.

«Elektra», 2017

Installation, Folien auf Fensterläden
Ort: Capanna da l’Albigna

Pipilotti Rist, «Elektra», 2017, Installation, Folien auf Fensterläden, Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth, Bild © Ralph Feiner

Pipilotti Rist, «Elektra», 2017, Installation, Folien auf Fensterläden, Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth, Bild © Ralph Feiner

Berghütten aus Stein oder Holz mit bunten Fensterläden sind unweigerlich Teil des Bildes der Alpen und spielen in der Geschichte und der Gegenwart des Alpinismus eine wichtige Rolle. Meist sind die Hütten kleine Oasen inmitten imposanter Felsmassive. Eingebettet
in die umliegenden Gebirgsketten, entspricht auch die aus Granit erbaute Capanna da l’Albigna mit ihren blau-weiss gestreiften Fensterläden diesem Typus. Pipilotti Rist durchbricht das gewohnte Bild, wenn sie die klassisch gestalteten Läden mit einem subtilen Eingriff temporär verändert. Von Juli bis September kontrastieren filigrane bunte Ketten die strenge Geometrie der diagonalen Streifen. Manche der Ketten sind vor dem gestreiften Hintergrund im Ganzen zu erkennen, andere drängen sich zwischen den blauen und weissen Flächen hindurch oder umschlingen sie; Teile der Ketten scheinen hinter den Holzläden zu verschwinden. Die fünf Farbtöne, welche die Künstlerin in der Gestaltung inspirierten, greifen die Farbigkeit der Flechten auf den Steinen rund um die Hütte auf. Mit dem Sujet der Kette verweist Rist auf Halsketten, auf die DNA, auf Kletterseile oder auf Tanzreigen und setzt dem menschlichen Wunsch nach Linearität eine spielerische Variante entgegen. Der Titel «Elektra» weckt aber auch Assoziationen an die gleichnamige Figur aus der griechischen Mythologie oder an die mit der Albigna so eng verknüpfte Thematik der Elektrizität. Aufgrund des Staudammprojektes der ewz wurde 1956 am heutigen erhöhten Standort die neue Capanna da l’Albigna erbaut. Die Gestaltung ihrer Fensterläden, die sich aus den blau-weiss gestreiften Bannern der Stadt Zürich ableitet, erinnert an die städtischen Elektrizitätswerke. Sie brachten mit der Stromproduktion eine moderne Infrastruktur in die weitgehend unberührte Berglandschaft.

Pipilotti Rist, «Elektra», 2017, Installation, Folien auf Fensterläden, Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth, Bild © Ralph Feiner