Judith Albert

In ihren Videos und Installationen beschäftigt sich Judith Albert (*1969) mit Aspekten von Zeit, Raum und Körper. Vertiefte Auseinandersetzungen mit tradierten Geschichtsbildern, Erzählungen, Mythologien oder unserem Sprachgebrauch bilden die Grundlage ihres vielseitigen Schaffens. Mittels allmählichen oder kaum sichtbaren Veränderungen setzt sie in Videoarbeiten stilllebenhaftes Verweilen der Atemlosigkeit unserer beschleunigten Zeit entgegen. Häufig werden dabei die Grenzen visueller und physischer Erfahrungen verwischt. Die Realität verdichtet sich, oft in durch die Künstlerin als Protagonistin selbst ausgeführten Handlungen, zu einer poetischen und stimmungshaften Erscheinung aus einfachen, meist natürlichen Formen und Farben, bevor diese wieder in ihren ursprünglichen Zustand vergehen. Eine weitere Spannungsebene ergibt sich aus dem Nebeneinander von präziser Komposition und der Unberechenbarkeit von äusseren Einflüssen.

www.judithalbert.ch

«Another day in paradise», 2017

Neon, 120 × 120 cm
Ort: Talstation

Judith Albert, «Another day in paradise», 2017, Neon, 120 × 120 cm, © 2017, ProLitteris, Zurich, Bild © Ralph Feiner

Judith Albert, «Another day in paradise», 2017, Neon, 120 × 120 cm, © 2017, ProLitteris, Zurich, Bild © Ralph Feiner

Die Worte «Tiramisù, Lasciamilì, Buttamigiù» sind als Neonschrift über dem Eingang zur Talstation der ewz Seilbahn Albigna in Pranzaira zu lesen. Selbst wenn man der italienischen Sprache mächtig ist, erschliesst sich der Inhalt des Dreizeilers nicht unmittelbar. Assoziationen an die weltbekannte Süssspeise vermischen sich mit der Frage: Warum hier an der Talstation Tiramisù? Worte und Zeichen können, einem gewissen Aberglauben zufolge, auch Glück oder Unglück bringen – so vielleicht «Lasciamilì» (Lass mich dort) … In der Antike dienten mittels eines Orakels gewonnene Hinweise dem oder der Fragenden als Rechtfertigungsgrund für eigene Entscheidungen. Bereits mit ihren Arbeiten «Capricci del destino» (2004) und «Magic Alpstein» (2006) knüpft Judith Albert an die Tradition des Orakels an, wenn sie Lose mit ortsbezogenen Wortspielereien verschenkt und in die geheimnisvolle Welt der Wünsche und Kräfte entführt. Die Künstlerin hat eine ausgeprägte Affinität für das geschriebene Wort, seine Bedeutungen und allfällige Doppelbödigkeiten. Wie es Rätselinschriften eigen ist, lädt die Supraporte in Pranzaira zum Nachdenken, Sinnieren und Diskutieren ein.

Sowohl mit dem Titel «Another day in paradise» als auch mit «Tiramisù, Lasciamilì, Buttamigiù» bezieht sich die Künstlerin auf die Namen von Routen in den nahe-gelegenen Klettergebieten. Für die Anbringung der Arbeit oberhalb des Eingangs in die Talstation inspirierten sie lateinische Inschriften über historischen Türen, auf die sie während ihrer Recherchen im Tal gestossen ist.

«Träumender See», 2017

Video
Ort: Capanna da l’Albigna

Judith Albert, «Träumender See», 2017, Video, Loop: 12:30 Min., ohne Ton, © 2017, ProLitteris, Zurich, Bild © Ralph Feiner

Mit Blick auf das Bergpanorama und den Stausee hat Judith Albert in der Eckstube der Capanna da l’Albigna einen kleinen flachen Monitor installiert. Mit der prominenten Platzierung weist sie ihm die Funktion eines Gemäldes zu. Es handelt sich jedoch um ein bewegtes Bild, das eine Ansicht des Lägh da l’Albigna bei Nacht erkennen lässt. Die klaren Umrisse und monochromen Flächen erinnern an einen japanischen Farbholzschnitt. Immer wieder verändert sich der See – manchmal wird er zum schwarzen Loch, dann wieder zeigen sich zarte Spiegelungen auf der blauen Fläche. «In nächtlicher Stimmung zieht sich der Lägh da l’Albigna in seine Tiefen zurück, geht Erlebtem auf den Grund und projiziert sein Innerstes an seine Wasseroberfläche», so Judith Albert zu ihrem «Träumenden See». Im Traum steht der See in Verbindung mit seinen Nachbarn, dem Lej Nair (Schwarzer See), dem Lej Sgrischus (Schrecklicher See) und dem Lej Pers (Verlorener See). Er lauscht ihren Geschichten aus der Zeit vor dem Bau der Mauer. Der Lägh da l’Albigna hat eine andere Entstehungsgeschichte als diese alten Seen. Und so träumt er oft von der Zeit vor 1955, als er noch kein See war, sondern ein Bächlein, das sich von Zeit zu Zeit zu einem reissenden Fluss formieren konnte, und wird im Traum zum Berg.

Wer beim Betrachten abwechselnd auf den realen See und den Monitor blickt, taucht ein in das morbide Grün vor dem Fenster, um dann wieder zum nächtlich-magischen Blau im Video zurückzukehren. Judith Alberts «Träumender See» visualisiert die fliessenden Übergänge von der Realität zur Imagination. Der reale Landschaftsraum wird mit träumerischen und individuellen Assoziationen gefüllt.