Haus am Gern

Unter dem Label «Haus am Gern» arbeiten Barbara Meyer Cesta (*1959) und Rudolf Steiner (*1964), die beide auch unter eigenem Namen oder unter dem Sigel «rsbmc» auftreten, seit 1997 zusammen. In kontextbezogenen, interdisziplinären Projekten untersuchen sie gesellschaftsrelevante Themen. Sie setzen sich mit Bildkonventionen und kulturell geprägten Zeichen auseinander und stellen diese in unterschiedlichen Medien einander gegenüber. Dabei entstehen mehrschichtige, mitunter verstörende Arbeiten, die auf unerwartete und gewagte Art und Weise aktuelle Geschehnisse kommentieren. Hintersinnig und humorvoll werden auch der Kunstbetrieb und das eigene Künstlerdasein reflektiert.

 www.hausamgern.ch

«Friends», 2017

Aluplatten (Dibond) 3 mm, beidseitig bedruckt und in Form geschnitten, 310 × 260 mm, 100 Exemplare
Ort: gesamter Perimeter

Haus am Gern, «Friends», 2017, Aluplatten (Dibond) 3 mm, beidseitig bedruckt und in Form geschnitten, 310 × 260 mm, 100 Exemplare, Bild © Ralph Feiner

Haus am Gern, «Friends», 2017, Aluplatten (Dibond) 3 mm, beidseitig bedruckt und in Form geschnitten, 310 × 260 mm, 100 Exemplare, Bild © Ralph Feiner

Auf Felsen, zwischen Pflanzen und Steinen, unmittelbar auf dem Wanderweg und abseits desselben: Im gesamten Ausstellungsperimeter tauchen im Blickfeld der Wanderer, Klettererinnen und Kunstgeniesser Aluminiumplatten in Form und Gestalt von kleinen Feuern auf. Mitten in der Albigna-Landschaft wecken sie vielfältige Assoziationen: Als eines der frühesten lebensnotwendigen Erzeugnisse des Menschen steht Feuer für Wärme – heute indes wird diese mit Strom oder alternativen Energien erzeugt. Die Bezwingung der rauen Alpenwelt wäre ohne Feuer und die daraus resultierenden Techniken nicht möglich gewesen. Feuer fungierte als jenes lebenserhaltende Element, dank dem die Menschen kalte Winter überstehen, sich vor Tieren schützen oder ihre Nahrung räuchern konnten. Rauchzeichen dienten früh auch als Mittel der Kommunikation. Nicht zuletzt symbolisieren Feuer auch magische Vorstellungen der Alten: Irrlichter, Berggeister, Waldmenschen.

Die Feuer von Haus am Gern sind von den sogenannten Friends inspiriert: Klemmgeräte von Kletterern, die in Risse oder Löcher gelegt werden, um Routen abzusichern. Mit ihrer eigenen Umsetzung von «Friends» thematisieren Haus am Gern das Feuer als positives Element – als «Freund» des Menschen – und greifen ihrerseits dezent in das Landschaftsbild ein. Vereinzelt und in Gruppen strukturieren die Feuer die Landschaft und verleihen ihr eine ästhetische Rhythmisierung.

«Der Berg», 2017

Felsbrocken, Kaugummi, 2 Kaugummispender
Ort: Nähe Capanna da l’Albigna

Haus am Gern, «Der Berg», 2017, Felsbrocken, Kaugummi, 2 Kaugummispender, Bild © Ralph Feiner

Haus am Gern, «Der Berg», 2017, Felsbrocken, Kaugummi, 2 Kaugummispender, Bild © Ralph Feiner

Was kennzeichnet eigentlich einen Berg? In der Geografie wird er anhand seiner Dominanz und seiner Schartenhöhe klassifiziert. Die Schartenhöhe eines Bergs allerdings ist relativ zur ihn umgebenden Landschaft. In Auseinandersetzung mit dieser Frage haben Haus am Gern (*1959/*1964) in der Nähe der Capanna da l’Albigna kurzerhand einen Stein zum Berg erhoben. Die Bezeichnung «Berg» erhält dieser durch die Aufmerksamkeit, die ihm durch eine Intervention von Haus am Gern zuteilwird und ihn so als eigenständiges Objekt von anderen Felsbrocken unterscheidet: Das Künstlerpaar ruft das Ausstellungspublikum dazu auf, ihn mit einer persönlichen Geste zu versehen. Es bittet die Berggängerinnen und Berggänger, einen Kaugummi an den Berg zu kleben.

An bestimmte Plätze Kaugummis zu applizieren, folgt einer Erscheinung im kalifornischen San Luis Obispo, wo Passantinnen und Passanten – Touristen wie Einheimische – seit den 1960er Jahren ihre durchgekauten Kaugummis an die Wände einer Gasse kleben und so Mauerwerke bunt gestalten. Der Brauch der «Gum Wall» hat sich am Market Theatre in Seattle wiederholt. Seither gilt dieser als Hotspot von Stadttouren.

Die Kaugummis auf dem Berg werden sich – den grellgrünen Flechtenmustern auf Felsen ähnlich – allmählich anhäufen. Ihre pastellene Farbigkeit harmoniert mit der Flora der Umgebung. Mit ihrer Intervention begegnen Haus am Gern der Erhabenheit der Bergwelt mit einer künstlerischen Geste und reihen sich in die reiche Tradition der Bergmalerei ein. Ihr Aufruf, die Gestalt des «Bergs» selbst mitzubestimmen, ist bewusst als Versuch angesetzt. Zwei Kaugummispender mit bunten Kaugummikugeln stehen bei der Talstation und in der Albigna-Hütte bereit. Ein Handout in verschiedenen Sprachen mit einer Anweisung und einem Lageplan informiert vor Ort über die Intervention. Dieses führt auch eine Webadresse für Bilderuploads auf. So wird «Der Berg» in seiner Wandlung laufend dokumentiert. Nach Ausstellungsende wird sein Kaugummikleid ohne Schaden für die Natur wieder abgenommen. Sein Andenken wird vielleicht bleiben.

Haus am Gern, «Der Berg», 2017, Felsbrocken, Kaugummi, 2 Kaugummispender, Bild © Ralph Feiner